Hausärztliche Gemeinschaftspraxis

Drs. med. Hans-J. Herr, Carmen Ramm u. Martin Wetzel

Fachärzte für Allgemeinmedizin

Wie der Klimawandel unsere Gesundheit gefährdet

 

Steigen die Temperaturen, nehmen Hitzewellen und Infektionskrankheiten zu. Die Folgen spüren wir schon jetzt.

„Der Klimawandel ist die größte Herausforderung für die Menschheit, er bedroht unsere Lebensgrundlage und somit unsere sichere Zukunft. Dabei nimmt die Bedeutung anthropogener Umweltveränderungen für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen zu.“ So beginnt der  „Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit 2023“, herausgegeben vom Robert-Koch-Institut. Es handelt sich dabei um ein bedeutendes Projekt, um den gesundheitlichen Herausforderungen der Klimakrise entgegenzutreten
Klimawandel schadet der Umwelt und damit der Gesundheit
Mit steigenden Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre erwärmt sich unser Klima – das ist bekannt und wird zu einer immer größeren Bedrohung für unsere Erde, wie zuletzt der jüngste Bericht des Weltklimarats gezeigt hat. Doch neben vielfältigen Effekten auf die Umwelt entwickelt sich der Klimawandel auch zunehmend zum Gesundheitsrisiko.
Ein internationales Fachgremium analysiert regelmäßig die Gesundheitsrisiken, die die Erderwärmung mit sich bringt. Und die werden von Jahr zu Jahr immer besorgniserregender, heißt es im jüngsten Bericht von „The Lancet Countdown“. So warnen die Fachleute unter anderem davor, dass:

  • gesundheitsbedrohende Hitzewellen und hitzebedingte Todesfälle zunehmen
  • sich Tropenkrankheiten in Europa ausbreiten
  • Mangelernährung durch extremwetterbedingte Ernteausfälle verstärkt zum Problem wird
  • Waldbrände und ähnliche Feuer zunehmen.

Vor allem Kinder seien den klimabedingten Gesundheitsrisiken ausgesetzt, sagen die Forscherinnen und Forscher. Ihr Körper reagiere empfindlicher auf Krankheiten und Schadstoffe. Und viel wichtiger: Mit all diesen Folgen müssten junge Menschen dann mehr oder weniger ein Leben lang kämpfen.
So wird ein 2020 geborenes Kind, unter den derzeitigen klimapolitischen Bedingungen, viel mehr Extremwettereignisse zu spüren bekommen als seine Großeltern (die 1960 geboren wurden). Im Laufe seines Lebens wird das Kind der Wahrscheinlichkeit nach doppelt so viele Waldbrände, dreimal so viele Überschwemmungen, dreimal so viele Ernteausfälle und siebenmal so viele Hitzewellen erleben. So lautet die Prognose einer neuen in Science veröffentlichten Studie.
Besonders stark wird der Anstieg von Extremwetter-Ereignissen der Studie zufolge für derzeit junge Menschen im Nahen Osten und in Nordafrika. Grundsätzlich werden junge Generationen in Ländern mit geringem Durchschnittseinkommen laut der Prognose stärker betroffen sein als in reicheren Ländern.


Wir spüren schon jetzt die ersten klimabedingten Gesundheitsrisiken
Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels sind nicht irgendwann und in weit entfernten Weltgegenden spürbar, sondern bereits hier und heute – in Europa und Deutschland. Diese vier Gesundheitsrisiken sind durch steigende Temperaturen am meisten spürbar:
Erstens: Tropenkrankheiten können nach Europa kommen
Es wird immer wärmer: In Deutschland war das letzte Jahrzehnt (2011-2020) rund 2°C wärmer als die ersten Jahrzehnte (1881-1910) der Aufzeichnungen, wie Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zeigen. Dadurch können sich Erreger oder deren Überträger bei uns besser ausbreiten, die für gewöhnlich in wärmeren Regionen wie den Tropen beheimatet sind.
So gab es 2019 in Deutschland die ersten Fälle von West-Nil-Fieber bei Menschen, die sich mit dem Virus nicht auf Reisen im Ausland, sondern durch den Stich heimischer Mücken angesteckt haben.
In Südfrankreich wurden erstmals Zika-Infektionen durch Tigermücken gemeldet, die dort heimisch sind. Die Mücken können auch Dengue- und Chikungunya-Viren übertragen.
Dem Lancet-Bericht zufolge wird das Risiko für Infektionskrankheiten steigen. Der Grund: Wenn es wärmer wird, können Tiere wie die asiatische Tigermücke auch in unseren Gefilden überwintern und sich sogar in Deutschland ansiedeln – wie entlang des oberen Rheingrabens punktuell schon geschehen.
Immerhin: „Aktuell ist das Risiko einer Etablierung neuer, durch Mücken übertragener Infektionserkrankungen in Deutschland gering“, sagt Alina Herrmann von der Universität Heidelberg gegenüber dem Science Media Center Deutschland.


Zweitens: Bakterien vermehren sich, wenn es wärmer wird
Auch schädliche Bakterien profitieren, wenn die Temperaturen steigen – etwa Cyano- und Vibrio-Bakterien in Seen und in der Ostsee, was beim Baden Gesundheitsprobleme verursachen kann. Vibrionen können zum Beispiel Magen-Darm- und Wundinfektionen verursachen.
Seit den 1980er-Jahren hat sich durch höhere Wassertemperaturen die Anzahl der Tage verdoppelt, an denen sich Menschen überhaupt mit Vibrionen in der Ostsee anstecken können. 2018 waren es schon 107 Tage. Bisher sind tatsächliche Infektionen mit den Bakterien glücklicherweise selten: Zwischen 2002 und 2019 wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) jährlich bis zu 20 Fälle gemeldet, vor allem in wärmeren Sommern. Die betroffenen Personen waren fast ausnahmslos älter und hatten Vorerkrankungen.
In Einzelfällen sind Menschen an einer Vibrioneninfektion gestorben, die sie sich beim Baden in der Ostsee zugezogen haben. Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) bietet daher eine interaktive Karte an, mit der Nutzerinnen und Nutzer verfolgen können, wie gut die Bedingungen in den europäischen Küstengewässern für die Vibrionenvermehrung sind.


Drittens: Mehr Menschen würden an Allergien leiden
Der Klimawandel trägt auch dazu bei, dass Menschen verstärkt mit Allergien zu kämpfen haben, denn: Ein insgesamt milderes Klima mit einer längeren ⁠Vegetationsperiode⁠ begünstigt, dass Pollen länger und in teils höheren Konzentrationen in der Luft fliegen. So breiten sich allergene Pflanzen wie die Ambrosia in Europa weiter aus. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach als Samen in Vogelfutter nach Deutschland eingeführt worden und kann sich nun bei zunehmend warmen Temperaturen gut etablieren.
Unbestritten ist auch, dass sich die Pollensaison durch klimabedingt wärmere und kürzere Winter verlängert. Pollen, die sich mit Feinstaub verbinden, können übrigens tiefer in die Lunge eindringen – und damit aggressiver wirken.


Viertens: Hitzewellen nehmen zu
Die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen in Deutschland haben zugenommen, wie Auswertungen des DWD zeigen. Das heißt: 14-tägige Hitzeperioden mit einer täglichen Temperatur von mindestens 30 °C treten in allen Regionen immer häufiger auf. Den damit einhergehenden Hitzestress und hohe bodennahe Ozonkonzentrationen steckt der Körper nicht immer unbeschadet weg.
So reagiert unser Körper auf Hitze
Die Blutgefäße der Haut weiten sich, um möglichst viel Wärme abzugeben. Und der Blutdruck sinkt – denn das Herz muss bei Hitze stärker und schneller schlagen, um die Umverteilung des Blutflusses zur Haut zu gewährleisten.
Gleichzeitig wird Wasser über Schweißdrüsen aus dem Körper gepumpt. Bis zu 0,5 Liter pro Stunde. Der Schweiß verdunstet auf der Haut, was den Körper auf natürliche Weise kühlt. Und wir bekommen Durst – denn durch das Schwitzen verlieren wir Flüssigkeit und Elektrolyte. Im schlimmsten Fall kann durch die erhöhte Schweißproduktion der Körper dehydrieren.
Überanstrengung und extrem feuchte Hitze können unser Kühlsystem aber überfordern. Dann staut sich die Hitze im Körper, das Herz beginnt zu rasen und der Kreislauf kann – im schlimmsten Fall – versagen. Kopfweh, Schwindel oder Ohnmacht sind beispielsweise Zeichen für einen Hitzekollaps, der als Folge einer solchen Wärmebelastung auftreten kann – ähnlich wie ein Herzinfarkt oder akutes Nierenversagen.


Für Wärmebelastung am stärksten gefährdet sind Menschen über 65 Jahre, Säuglinge, Patient:innen mit chronischen Erkrankungen sowie Personen, die schwere körperliche Arbeit im Freien verrichten, etwa auf Baustellen oder in der Landwirtschaft .
Nach einer Analyse des Helmholtz-Zentrums München gibt es bereits jetzt mehr Herzinfarkte und Todesfälle infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an heißen Tagen. Eine andere Studie kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Menschen in Deutschland durch die Auswirkungen von Hitze starben – 2015 waren es demnach 6100 Menschen. Wie schwer Hitzewellen die Bevölkerung treffen können, wurde hierzulande im bislang heißesten Sommer im Jahr 2003 sichtbar. Damals lag die Übersterblichkeit aufgrund der hohen Temperaturen laut einer Studie bei rund 9400 Toten.
Auch künftig werden Hitzewellen Menschen zunehmend beeinträchtigen und könnten Tausende Todesopfer fordern, prognostizieren die Fachleute im Lancet-Countdown-Bericht. In Norddeutschland könnte es bis zu 5 zusätzliche Hitzewellen im Jahr geben, in Süddeutschland sei sogar mit jährlich bis zu 30 zusätzlichen Hitzewellen zu rechnen.


Wir können das Blatt noch wenden
Stoßen wir weiter so viel CO2 aus wie bisher, wird ein heute geborenes Kind an seinem 79 . Geburtstag im Jahr 2100 im Schnitt in einer um vier Grad wärmeren Welt leben. Asthma, Tropeninfektionen, Dürrephasen oder ein Herzinfarkt durch Hitzewellen könnten dieses Kind im Laufe seines Lebens treffen. Dieses Szenario entwarfen die Forscherinnen und Forscher im vorausgegangenen Lancet-Bericht ziemlich eindrücklich.


Es muss nicht so kommen
Würde die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt, wie es das Pariser Klimaabkommen fordert, könnte ein heute geborenes Kind in England mit vier Jahren den Kohleausstieg erleben. In Frankreich würde es mit 19 Jahren mitbekommen, wie Benzin- und Dieselautos von den Straßen verschwinden. Und alle heute Geborenen weltweit könnten mit 29 Jahren erleben, dass nur noch so viel C02 produziert wird, wie von der Natur oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. Es sei deshalb entscheidend, die Erderwärmung wie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen auf ein beherrschbares Maß von deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken, schreiben die Autoren des Lancet-Berichts. Denn: Schonen wir das Klima, schützen wir auch unsere Gesundheit.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Fachleute der Science-Studie: Sollten wir als Gesellschaft eine politische Kehrtwende vollziehen und das Pariser Klimaziel erreichen, könnten sich die Wahrscheinlichkeiten für mehr extremes Wetter deutlich reduzieren – und somit auch die gesundheitlichen Belastungen, die kommende Generationen zunehmend bedrohen.
Wir müssen Hitzewellen und neue Krankheitserreger auf dem Schirm haben
Die wichtigste Maßnahme, um den Klimaschutz voranzutreiben, lautet nach wie vor, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass wir darauf nicht warten können. Um den bereits eingetretenen Veränderungen wie Hitzewellen oder Infektionskrankheiten zu begegnen, ist unter anderem Folgendes notwendig:

  • Ein nationaler Hitzeschutzplan muss ausgearbeitet werden, vor allem um Rettungsdienste, Kliniken, Alten- und Pflegeheime besser auf Hitzewellen vorzubereiten. In Alten- und Pflegeheimen sei künftig auch mehr Personal nötig, etwa um sicherzustellen, dass ältere Menschen ausreichend trinken, da sonst Nierenschäden durch Flüssigkeitsmangel drohen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hat 2017 bereits Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit herausgegeben. Mehrere Kommunen in Deutschland seien zwar gerade dabei, Hitze-Aktionspläne zu erstellen, bislang wurden sie aber noch nicht final in die Tat umgesetzt – wie eine Befragung des Umweltbundesamtes ergab.
  • Die Kommunikation darüber, wie man sich bei Hitze zu verhalten hat, muss flächendeckend und vor allem bedürfnisorientiert besser werden. Eine mobile Hitzewarn-App kann ein zusätzliches Element in einer Kommunikationskaskade sein – damit erreicht man ältere und somit besonders hitzegefährdete Menschen aber bislang noch nicht gut genug.
  • Deutsche Ärztinnen und Ärzte müssen von Mücken übertragene Erreger künftig verstärkt „auf dem Schirm“ haben. Die meisten West-Nil-Virus-Infektionen blieben zunächst unerkannt, weil bei grippeähnlichen Symptomen niemand an diese Erreger dachte. Nötig sind deshalb Fortbildungen des Gesundheitspersonals und gute Testsysteme.
  • In Städten ist die Hitzebelastung groß, weil z.B. Beton, Glas oder Metall viel Wärme speichern und heiße Luft in stark bebauten Siedlungen schlechter zirkulieren kann. Städtische Grün- und Wasserflächen sind eine wichtige Maßnahme, denn Bäume spenden Schatten und Feuchtigkeit – und wirken so dem Hitzeinsel-Effekt entgegen. Auch Haus- und Dachbegrünungen könnten einen Beitrag leisten. Bislang fehlt es den meisten Städten aber an ausreichend Grünflächen.

Über den Autor:
Lara Schwenner, Wissenschaftsjournalistin für audiovisuelle Medien
Quellen

 

 

 

 

 

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